75 Jahre PSYCHE. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen

Anlässlich des 75. Jahrestags der Gründung der Zeitschrift ‘PSYCHE‘ fand eine Jubiläumsveranstaltung statt, die sich unter dem Titel ‘Aufklärung im Angesicht der Katastrophe‘ mit vergangenen und aktuell vorherrschenden globalen Krisen befasst und die Frage stellt, inwieweit die Psychoanalyse zu deren Aufklärung und Bewältigung beitragen kann. Behzad Farahani & Sophie Ali Bakhsh Naini, Psychotherapiewissenschaft Studierende an der Sigmund Freud PrivatUniversität Berlin nahmen teil und berichten vom Jubiläum:

Anlässlich des 75. Jahrestags der Gründung der Zeitschrift ‘PSYCHE‘ findet eine Jubiläumsveranstaltung statt, die sich unter dem Titel ‘Aufklärung im Angesicht der Katastrophe‘ mit vergangenen und aktuell vorherrschenden globalen Krisen befasst und die Frage stellt, inwieweit die Psychoanalyse zu deren Aufklärung und Bewältigung beitragen kann. 

Nach einer kurzen Begrüßung und einleitenden Worten durch die Herausgeberin Frau Dr. Döll-Hentschker, wird die Tagung thematisch durch Dr. Udo Hock eröffnet, der einen Überblick über die Entstehungsgeschichte der Zeitschrift und ihre Debatten gibt. Hock beschreibt das Gründungsjahr der ‘PSYCHE‘ – 1947 – als epochales Jahr für Deutschland und Zeitalter intellektuellen Lebens, in welchem die Vernunft aus ihrem Schlaf während des NS-Regimes erwacht. Dessen Nachwirkungen sind in der Folgezeit allerdings noch deutlich spürbar, da zuvor 43 jüdische Mitglieder aus der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) ausgeschlossen worden waren und ihr somit das “Rückgrat“ gefehlt habe, so Hock. Kritisch betrachtet wird in diesem Zusammenhang auch die in der ersten Ausgabe fehlende Bezugnahme auf die exilierten jüdischen Kolleg*innen sowie die unzureichende Distanzierung von dem nationalsozialistischen Vorgängerinstitut ‘Göring Institut’. In den darauffolgenden Jahren erlebt die Zeitschrift verschiedene Herausgeberwechsel und Wandel in ihrem Selbstverständnis, bis sie schließlich 1966 ihre heute noch aktuelle Ausrichtung und den Untertitel ‘Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen‘ erhält.

Im Anschluss an diesen zeithistorischen Rückblick folgt ein Beitrag der englischen Psychoanalytikerin Sally Weintrobe, die unter der Überschrift ‘Love and its survival in overwhelming times’, das innerhalb der Bevölkerung zunehmend greifbarer werdende Gefühl von seelischer Überwältigung angesichts der aktuell vorherrschenden globalen Krisen und Konflikte beschreibt. Diese schwelende Atmosphäre eines imminenten Unheils beschreibt Weintrobe als Bedrohung nicht nur für das Individuum, sondern für das Leben selbst. Ein zentraler Aspekt ihrer Ausführungen ist die Feststellung, dass die verschiedenen Krisen vornehmlich isoliert betrachtet und bekämpft werden, statt als Folgen ein- und derselben gesellschaftlichen und (sozial-)psychologischen Ursachen verstanden zu werden. Als solche identifiziert sie unter anderem eine durch den Neoliberalismus kultivierte Mentalität der Gleichgültigkeit, das fortwährende Erstarken eines narzisstischen, selbstidealisierenden Sozialcharakters sowie die systematische Gewöhnung an Traumata als Teil der alltäglichen Normalität. Diesen destruktiven Mechanismen stellt Weintrobe die Liebe als Instrument zum Überleben gegenüber. Die Kapazität hierfür verortet sie in “humanity`s mental state”, also der gesamtmenschlichen geistigen Haltung und Resilienz im Angesicht von Katastrophen. 

Den letzten Vortrag des Tages mit dem Titel „Generative Verantwortung und die Potenziale der Aufklärung“ hält Vera King, Sozialpsychologin und Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts der Goethe Universität Frankfurt/Main. Aus einer psychoanalytischen Perspektive analysiert sie, inwiefern destruktive Strategien der Gegenwartsbewältigung an die Stelle der generativen Verantwortung treten. King geht im Kontext der drohenden Klimakatastrohe auf die über das eigene Leben hinaus zielende Verantwortung ein. In der Psychoanalyse impliziere Verantwortung den Mut, sich von den eigenen Illusionen zu trennen. In diesem Zusammenhang erwähnt King den Schriftsteller Jonathan Franzen, der fordert, der Realität ins Auge zu sehen und in seinem im New Yorker erschienen Kommentar fragt: Wann gestehen wir uns ein, dass es zu spät ist? (What if we stopped pretending? The climate apocalypse is coming. To prepare for it, we need to admit that we can’t prevent it. The New Yorker/2019).

King beruft sich in ihren Ausführungen außerdem auf das Konzept der Generativiät des Psychoanalytiker Erik H. Erikson, das u.a. die gegenseitige generative Sorge um einander beschreibt. Das Kümmern um zukünftige Generationen gehe allerdings immer mit dem Schmerz über die eigene Endlichkeit einher. Es stelle eine psychische Herausforderung dar, diese Ambivalenz nicht destruktiv auszuagieren. King stellt fest, dass im Zeitalter der Optimierung unterschiedliche Generationen und deren Endlichkeit sowie Verantwortungskulturen geleugnet werden. Eine weitere gegenwärtige Strategie mit dem allgegenwärtigen Katastrophengefühl umzugehen, ist laut King die Projektion des inneren Erlebens nach außen, wie zu beobachten bei Klimaleugner*innen, Anhänger*innen von Untergangsszenarien im rechten Milieu oder Querdenker*innen. Dabei nähre die Projektion von innen nach außen das Selbstmitleid und verschleiere Aggressionen. Wenn alles zerstört ist, müsse man nicht mehr um die eigene Endlichkeit trauern. King bezeichnet dies als eine befriedende Handlungslähmung: Beide Strategien – die Ausblendung der Krise und die Postulierung eines Weltuntergangs – sind die Verweigerung sich die eigene Begrenztheit einzugestehen und Verantwortung zu übernehmen. Somit handele es sich in der Konsequenz um eine Opferung der Kinder und deren Zukunft für die Gegenwart. King zieht das Fazit, dass die Psychoanalyse wieder stärker im öffentlichen Diskurs Gehör finden muss, da sie die Komplexität der Seele anerkennt – was auch in Zeiten von wachsendem Rechtspopulismus und vielschichtiger Krisen wichtig ist.

Behzad Farahani & Sophie Ali Bakhsh Naini

 

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Die Zeitschrift PSYCHE: Klett-Cotta Verlag